Im Zickzack durch Estland
Verfasst von am am 12.02.2018 um 18:05.
Estland zählt zu den am dünnsten besiedelten und waldreichsten Ländern Europas. Der freie Zugang zu seinen Wäldern und die Nutzung als Erholungsgebiet ist ein nationales Gut - es gilt das sogenannte Jedermannsrecht, von dem wir auch intensiv Gebrauch machten.
An der Grenze von Lettland und Estland liegt eine kleine Stadt, die sowohl aus einem lettischen, als auch estnischen Teil besteht. Als wir durch Valka (lettisch) bzw. Valga (estnisch) fuhren, passierten wir beinahe die Staatsgrenze nach Estland ohne es zu bemerken. Glücklicherweise konnten wir dann doch noch ein Grenzschild in der bereits einsetzten Dämmerung ausfindig machen und freuten uns auf die bevorstehende Erkundung des letzten baltischen Land auf unserem Weg zum Nordkap.
Die Qual der Wahl
Von den drei Ländern des Baltikums stellte sich Estland bald als unser Favorit heraus, was die kostenlosen Übernachtungsplätze in der Natur betraf. Das kleinste baltische Land verfügt über ein außerordentlich dichtes Netz an Wanderwegen und Naturpfaden entlang derer sich Hütten oder designierte Plätze zum Aufbau eines Zeltes oder zum Parken des Campers befinden.
Wir nutzten intensiv die Webseite der nationalen Forstverwaltung (RMK), auf der jeder dieser Übernachtungsplätze detailliert aufgelistet ist. Damit war es für uns ein einfaches, jeden Tag einen Stellplatz zu finden, der sowohl landschaftlich, also auch die “Ausstattung” betreffend (die meisten verfügten über eine Feuerstelle mit Grillrost, Sitzbänken und einem Tisch, an manchen befand sich ein Plumpsklo und an einigen wenigen wurde sogar trockenes Feuerholz zur Verfügung gestellt) keine Wünsche übrig ließ. Es kam des öfteren dazu, dass Plätze nah beisammen lagen, wir uns alle angesehen haben und den für uns am besten geeigneten aussuchen konnten. Ein Luxus, der einem vermutlich nur in der Nebensaison gegönnt ist.
Tatsächlich kam es nur einmal vor, dass ein Platz zu dem wir fuhren, bereits besetzt war. Ein ander Mal gesellte sich ein anderes Auto kurzfristig zu uns dazu. Allerdings waren die beiden Passagiere mehr an einem Sprung in den See interessiert als daran sich zu uns zum Lagerfeuer zu setzen und rauschten nach einem kurzen Bad auch wieder ab.
Nächte an Seen
Im Süden des Landes machten wir Halt an einem See namens Võrtsjärv - er ist nach dem Peipussee der zweitgrößte See des Baltikums und der größte Binnensee Estlands. Von der östlichen Stadt Tartu fuhren wir dann entlang des bekannteren Peipussee, der fast wie ein Meer auf uns wirkte, bis an sein nördliches Ufer wo wir die Nacht verbrachten.
Die Grenze zu Russland verläuft mitten durch das durchschnittlich nur 8 Meter tiefe Gewässer - die östliche Hälfte gehört zu Russland, die westliche zu Estland. Wie wir von Einheimischen erfuhren, erwärmt sich der See aufgrund seiner geringen Tiefe im Sommer auf bis zu 22 Grad und lockt daher neben Anglern auch Badegäste an.
Mitte September schienen diese allerdings bereits abgereist zu sein und wir kamen in den Genuss von leeren Landstraßen und ruhigen Seeufern. Vom Peipussee im Nordosten des Landes reisten wir anschliessend quer durch das Land bis an seine Westküste.
Land der tausend Inseln
Kaum zu glauben, aber eine Tatsache: zu Estland gehören über 2000 Insel, die meisten davon im Westen des Landes. Der Großteil ist allerdings sehr klein und unbewohnt. Eine Fähre brachte uns auf die Insel Muhu, von der aus wir über einen beeindruckenden Damm auf die größte und bekannteste Insel, Saaremaa, gelangten.
Wir erfuhren von Einheimischen, dass neben den Windmühlen, der charmanten Hauptstadt Kuressaare und der wunderschönen Küstenlandschaft, der Kaali Krater angeblich eine beliebte Attraktion auf Saaremaa sei.
Auf dem Weg dorthin machten wir uns Gedanken, wie man sich einen 4000 Jahre alten Krater, der durch den Einschlag eines Meteoriten entstanden ist, vorstellen kann. Ein kreisrundes Loch im Boden? Fast richtig. Der Kaali Krater ist ein kreisrundes Loch im Boden gefüllt mit Wasser. Er gleicht damit mehr einem (unspektakulären) Teich als einem Meteoritenkrater.
Der Rand des Kraters ist begehbar, wir spazierten durch die gepflegte Anlage und entnahmen von den Informationstafeln, dass der Einschlag des Meteoriten eine wichtige Rolle in der Mythologie der Insel spielte. Nichtsdestotrotz kam bei uns einfach kein mystisches Gefühl beim Blick in das Loch auf und wir setzten unsere Fahrt auf der Insel fort.
Der Übernachtungsplatz, den wir dank RMK auf Saaremaa fanden, zählte zu einem der schönsten auf unserer gesamten Reise. Wie üblich, ließen wir den Tag auf der Insel mit einem Lagerfeuer ausklingen und amüsierten uns auf Kosten des Kaali Kraters.
Rast in Tallinn
Nachdem wir über drei Wochen quer durch das Baltikum gereist waren, beschlossen wir in Tallinn eine kleine “Atempause” einzulegen. Diese sollte uns ein wenig Zeit geben, die unzähligen Eindrücke der bisherigen Reise zu reflektieren und zu verarbeiten.
Insgesamt fünf Nächte blieben wir in der Hauptstadt, bummelten durch ihr mittelalterliches Zentrum, genossen Restaurantbesuche und schliefen uns so richtig aus.
Die estnische und die finnischen Hauptstadt trennen nur 85 Kilometer Seeweg. Wir verließen also Tallinn per Autofähre Richtung Helsinki. Ahnend, dass mit dem Sprung über das Meer das Preisniveau ansteigen würde, hatten wir uns vor der Abreise aus Estland noch reichlich mit estnischen Bier (“A. Le Coq”) und der köstlichen Schokolade vom estnischen Hersteller “Kalev” eingedeckt.
Während wir die letzte Bierdose aus diesem Einkauf erst zurück in Österreich tranken, hatte die estnische Schokolade eine weniger lange Überlebenszeit. Wir waren also bereit für finnische Schokolade und alles weitere, was das erste skandinavisches Land auf unserer Reise sonst noch zu bieten haben würde.